Alle weiß und männlich? Gender und Diversität im Seitenstark-Netzwerk

Alle weiß und männlich? Gender und Diversität im Seitenstark-Netzwerk

Blogbeitrag vom

Es ist ein Allgemeinplatz, dass männliche Superhelden in Computerspielen immer noch deutlich in der Überzahl sind, die wenigen Superheldinnen werden in der Regel in knappen Kostümen und mit sexualisierten Körperformen dargestellt. Ähnlich sieht es auf den kommerziellen Internetseiten für Kinder und Jugendliche aus. Diversitäre und nicht-stereotype Darstellungen von Figuren in Computerspielen oder im Internet zu finden, gleicht der legendären Suche nach der Nadel im Heuhaufen.

 

Und was ist mit den guten Kinderseiten?

Doch wie sieht es mit den Avataren und Leitfiguren der "guten" Internetangebote für Kinder aus dem Seitenstark-Netzwerk aus? Sollten diese Seiten nicht Vorbildfunktion haben, diverse Lebenswirklichkeiten abbilden und einer Stereotypisierung vorbeugen? Ich habe mir mal die Mühe gemacht, alle Maskottchen und Figuren der Seitenstark-Seiten mit Blick auf das Geschlechterverhältnis, die Hautfarbe und weitere Merkmale zu durchforsten und dabei eine kleine Statistik erstellt:

Insgesamt tauchen 66 Figuren in 51 Internetseiten auf. Damit sind nur die Leitfiguren gemeint, die in der Regel auf der Startseite auftauchen oder die Kinder durch die Internetseite begleiten. Ich habe keine Figuren berücksichtigt, die zusätzlich auf Unterseiten oder zu speziellen Themen auftauchen. Zwölf Internetseiten arbeiten ganz ohne Maskottchen oder Leitfiguren, diese habe ich nicht berücksichtigt.

 

37,9% männlich, 27,3 % weiblich

Hier das Ergebnis meiner kleinen Analyse:

37,9 % aller Figuren sind männlich, 27,3 % weiblich und 34,8 % lassen sich keinem Geschlecht zuordnen, sind also neutrale Figuren wie Tiere, Fabel- und Fantasiewesen (In einem Fall sogar ein Gemüse: "Mobbing - Schluss damit").

In vier Fällen ist das Geschlecht mit einer erwartbaren Zuordnung zu den Farben rot/rosa und blau verbunden. In einem einzigen Fall ist die Farbzuschreibung umgekehrt, der Junge trägt rote, das Mädchen blaue Klamotten.

Auch auf den Seitenstark-Seiten sind also die meisten Figuren männlich, Mädchen stehen weniger Figuren zur Verfügung, mit denen  sie sich identifizieren können. Auch wenn das Verhältnis deutlich weniger ungleich ist auf den meisten großen, kommerziellen Internetseiten oder in Computerspielen.

Leo und Lupe von www.kindersache.deKartoffel-Maskottchen von mobbing-schluss-damit.deJan und Jule von losleser.de

 

Weiße, männliche Figuren dominieren

Noch deutlicher fällt das Ergebnis aus, wenn man sich die Figuren mal im Hinblick auf die Hautfarbe anschaut: Von allen menschlichen Leitfiguren, denen eine Hautfarbe zugeordnet werden konnte, waren 84,6 % weiß, 15,4 % nicht-weiß.

Gar nicht gefunden habe ich

  • Figuren mit einer Behinderung (ausgenommen vielleicht die Augenklappe der Blinden-Kuh...)
  • Avatare mit sehr dunkler Hautfarbe oder afrikanischem Hintergrund
  • Menschliche Leitfiguren oder Avatare mit Kopftuch

Realitäten abbilden, ohne Stereotype zu verstärken

Natürlich ist dies keine ernsthafte Studie, da ich die Seiten nur recht oberflächlich betrachtet habe. Trotzdem entsteht ein kleiner Eindruck davon, wie auch wir Seitenstark-Seiten uns insbesondere bei der Erstellung von Avataren zum Teil an Klischees und Stereotypen orientieren. Natürlich wollen wir, dass Kinder unsere Seite mögen und sich mit unseren Figuren identifizieren. Die Frage ist: Werden Kinder wirklich durch Darstellungen eher angesprochen, die gängigen Klischees entsprechen?

Auch Kinder im Rollstuhl oder Mädchen, die Kopftuch tragen, möchten Identifikationsfiguren im Internet finden und direkt angesprochen werden. Wir sollten uns bewusst sein, dass sich unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit (z.B. : "Alle Mädchen mögen rosa") verstärkt, indem wir diese Wirklichkeit immer und immer wieder abbilden. Und dass wir die Wahrnehmung von Kindern dessen, was "wahr" und "wirklich" ist, mit unseren Avataren unter Umständen auch beeinflussen. Ob wir das wollen oder nicht.

Organisationen, die für die Rechte von Minderheiten eintreten, kritisieren zu recht, dass sie unsichtbar gemacht werden, indem ihre Lebenswirklichkeit einfach überhaupt nicht thematisiert wird. Ein ähnliches Argument kennen wir aus der feministischen Sprachwissenschaft: Was nicht explizit sprachlich benannt wird, läuft Gefahr, unsichtbar gemacht zu werden, aus der Wahrnehmung gesellschaftlicher Realität zu verschwinden. Deshalb ist es immer auch eine politische Entscheidung, ob ich z.B. in öffentlichen Texten feministische oder gegenderte Sprache benutze und damit Frauen und Mädchen sichtbar mache oder nicht.

Mein Eindruck vom Seitenstark-Netzwerk ist, dass der gute Wille zwar da ist, aber in der Umsetzung dann doch der Mut fehlt und etwas halbherzige Kompromisse gemacht werden. Manche Avatare haben zwar eine leicht gebräunter Hautfarbe, aber keines ist wirklich dunkel. Keine männliche Figur hat lange Haare. Alle Avatare sind dünn, haben zwei Arme, zwei Beine und können laufen - keine Selbstverständlichkeit für viele Kinder.

Es gab im Übrigen viel Lob für Pokémon Go, dass in seiner im Sommer 2016 veröffentlichten Version mehr Wahlfreiheit bei der Wahl des Geschlechtes des Avatars zulässt. "Chose your style (not your gender)" ist die Devise, unter der man sich eine Spielfigur aussuchen kann. Ich kann meinen "Look" bestimmen, also meine über Kleidung, Farben und Accessoires sichtbar werdende Identität, ohne mich einem Geschlecht zuordnen zu müssen. Schließlich haben auch die Pokemon-Figuren selbst mindestens drei Geschlechter.

Pokémon Go

Vielfalt als Chance

Wenn wir Computerspiele und Internetmedien als kulturelle Praxis ähnlich ernst nehmen wollen wie Film, Theater oder Literatur, dann müssen wir auch erkennen, dass Spiele und die Darstellung von Figuren in Spielen durchaus in die Gesellschaft hineinwirken können. Dies gilt gleichermaßen für die Gestaltung guter Internetangebote für Kinder.

Entwicklerinnen und Entwickler, Grafikerinnen und Grafiker  haben hier die Chance, diverse Realitäten abzubilden und damit vermeintlich Abweichendes zu normalisieren. Warum nicht einmal einen Helden im Rollstuhl abbilden? Oder eine Heldin mit afrikanischen Wurzeln? Einen dicken Jungen mit rosa Shorts? Oder, wenn uns unsere eigenen Ansprüche dabei überfordern: Eine lustige Kartoffel mit rotem Käppi?

Auch wir Kinderseitenmacherinnen und -macher von Seitenstark können ein Stück gesellschaftliche Realität gestalten. Wenn wir alle Kinder ansprechen wollen, wenn wir unterschiedliche Lebenswelten von Kindern sichtbar machen wollen und wenn wir stereotype Zuschreibungen aufbrechen wollen, dann wird es Zeit, dass wir mehr Vielfalt in die Kinderseitenlandschaft bringen.

 

 

Die Maskottchen und Logo der Kinderseiten von Seitenstark im Überblick (Stand Februar 2017):

Logos der Kinderseiten von Seitenstark