Von Monsterkrabben und politischen Fabeltieren - mein Besuch auf der Play15 Konferenz
Von Monsterkrabben und politischen Fabeltieren - mein Besuch auf der Play15 Konferenz
Blogbeitrag vom
Sechs Menschen sitzen um einen Tisch, in der Mitte ein Klumpen matschig-brauner Ton. Nach einigen Sekunden Schweigen traut sich endlich er erste: "Ok, ich mach den Panzer." "Dann mach ich die Scheren, also diese Arme vorne am Körper", wage ich mich vor. "Ich versuch mal, einen Kopf hinzukriegen", traut sich der nächste. "Und ich mach die Beine", sagt noch einer. Nein, das ist nicht der Volkshochschulkurs "Töpfern für Anfänger". Das ist das Festival für kreatives Computerspielen - die Play15.
Zum achten Mal findet die Play15 statt, zum vierten Mal in Folge ist der Spielort Hamburg. Nachdem ich mich im letzten Jahr zum ersten Mal hierher getraut habe, bin ich heimlicher Fan! Die Play ist für mich das spannendste Gaming-Event für neugierige Nicht-Gamer. Durch die inhaltliche Vielfalt der Workshops, Events und Vorträge ist der Einstieg auch für eher branchenferne Leute wie mich spannend und niedrigschwellig, manchmal auch lustig oder skurril. Für Game-Nerds ist die Play15 vermutlich eine viertägige Dauerparty!
Beim Surfen durch das Programm auf der Internetseite wird mir etwas schwindelig und einen Überblick zu bekommen, scheint nahezu unmöglich: Man kann 3D Brillen aus Pappe basteln und sein eigenes Smartphone darin einbauen. Man kann lernen, mit Games Gefühle zu steuern. Man kann sich 20 Minuten in einen Container einsperren lassen, aus dem man sich durch das Lösen von Rätseln selber wieder befreien muss. Man kann auf Plattdeutsch über Landwirtschafts-Simulationen diskutieren. Man kann über Computerspiele und politische Bildung philosophieren und man kann aus einem braunen Tonklumpen ein 3D Monster für ein Computerspiel basteln! Aber dazu später.
Mein Tag auf der Play15 beginnt auf der "Play15 Conference". Die Fachkonferenz richtet sich an Medienpädagog/-innen, Lehrkräfte, Game-Entwickler, Studierende und andere Interessierte. Hier sollen sich Menschen unterschiedlichster Berufsgruppen und Interessen in erster Linie theoretisch über Computerspiele austauschen. Als ich in dem schicken Gebäude der Handelskammer zur Play Konferenz erscheine, bin ich allerdings etwas überrascht: Nur ca. 30 Leute haben sich hier eingefunden. Vielleicht ist das Angebot doch zu groß? Oder das Vortragsthema zu sperrig? Aki Järvinen - eine Ikone auf dem Gebiet der Analyse von Computerspielen präsentiert seine Theorie "Games as systems", also "Computerspiele als Systeme". Dafür zerlegt er ein Computerspiel in Einzelteile und kategorisiert diese. Er erkennt eine Mechanik, das Regelwerk, ein Thema und Informationen, die der Spieler bekommt. Järvinen möchte nach eigenem Bekunden Verständnis für Computerspiele erzeugen, dafür "was sie sind" und wie sie wirken. Mich lässt Järvinen nach seinem Vortrag etwas ratlos zurück. Nach dem Vortrag geht es in meinen ersten Workshop:
"Jedes Multiplayer Game kann auch ein politisches Spiel sein." Im Workshop: Politische Systeme in digitalen Spielen
Die Nemetschek-Stiftung entwickelte das Spiel "Utopolis - Aufbruch der Tiere", das Anfang 2015 auf den Markt kam. Das Besondere daran: Die Stiftung setzt das Spiel gezielt zur politischen Bildung an Schulen ein und versucht, Lehrkräfte vom Potential des Spiels im Unterricht zu überzeugen. Mit dem deutschen Computerspielpreis als Reputation sollte das kein Problem sein, vermute ich, aber der Vorstandsvorsitzende der Stiftung Dr. Ralf Nemetschek schildert die Skepsis vieler Lehrender, dass "die Kinder dann nur noch vor dem Computer sitzen".
Nemetschek ist davon überzeugt, dass sich durch emotionales Lernen politische Bildung vermitteln lässt. "Utopolis" soll erlebbar machen, wie demokratisches Zusammenleben funktioniert. Er geht sogar so weit zu behaupten, dass fast jedes Multiplayer-Spiel im Grunde politische Züge habe, da immer das Zusammenspiel Einzelner organisiert werden muss.
"Utopolis - Aufbruch der Tiere" bildet eine Fabelwelt für bis zu 25 Spielerinnen und Spieler ab. Fabeltiere, die sich in fünf Gruppen zuordnen lassen, müssen ihre friedliche Welt gegen einen bösen Feind verteidigen. Doch dies geht nur gemeinsam: Sie müssen kooperieren, um u.a. die Versorgung mit Nahrungsmitteln zu organisieren. Dabei stehen die Einzelinteressen (z.B. Hunger) den Gemeinschaftsinteressen (z.B. die Lagerung von Lebensmitteln) gegenüber und müssen gegeneinander abgewogen werden. Auch Gesetze können eingebracht und von den anderen angenommen oder abgelehnt werden. Man kann auch andere überwachen oder sich im Chat absprechen, um z.B. Lobbys für die Interessen einer Tiergruppe zu bilden. Wie in einer echten Demokratie!
Leider bleibt der Eindruck vom Spiel nur theoretisch, da wir keinen Einblick in den realen Spielverlauf bekommen. Wahrscheinlich ginge das auch gar nicht, da man das Spiel in der Regel über mehrere Tage hinweg spielt. Jedenfalls fehlt diese Erfahrung, um sich einen besseren Eindruck von dem Spiel zu machen. Aber dass es bereits drei Preise gewonnen hat, spricht ja auch für sich (Software-Preis “GIGA-Maus 2015″, Red Dot Award: Communication Design 2015 und Deutscher Computerspielpreis 2015).
Mehr Informationen zum Spiel und zu den Zielen der Stiftung gibt es auf der Homepage der Nemetschek-Stiftung.
"Ganz viele Gamedesigner hängen in Büchereien ab."
Im Workshop: Gamedesign als Systemdesign - Digitale Spiele als Spiegel der Gesellschaft
Im zweiten Workshop verwirrt mich zu Beginn, dass Workshopleiter Stefan Wacker uns immer wieder anspricht, als wären wir zukünftige Spieleentwickler: "Ihr werdet später merken, dass..." oder "Also, wenn ihr später eine Fantasywelt machen wollt, dann müsst ihr..." Kurz überlege ich, ob ich im falschen Workshop gelandet bin und raune meinen Nachbarn zu: "Seid ihr alle Spieleentwickler?" - Sind sie nicht. Na gut, dann bleib ich mal sitzen.
Stefan Wacker, der bei seiner Firma Daedalic Entertainment die schöne Berufsbezeichnung "Head of 3D" tragen darf, erklärt uns, wie Grafiken in Computerspielen aufgebaut sind. Zunächst werden nur wenige Grafiken entworfen, die sich dann im Bildaufbau wiederholen oder nur leicht verändert werden. Dabei packt viele Designer der Ehrgeiz, ihre Landschaften, Architektur usw. so authentisch wie möglich virtuell nachzubauen. Zur Recherche verlassen sie sogar den Computerbildschirm: "Ganz viele Gamedesigner hängen in Büchereien ab", verrät Stefan Wacker. Dort recherchieren sie - ganz analog - z.B. zu Geschichte und Architektur.
Leider taucht im Vortrag so viel Spezialvokabular auf, dass meine Gedanken zwischendurch etwas abschweifen und ich erst wieder munter werde, als Stefan Wacker einen großen Klumpen Ton vor uns auf den Tisch packt. Wir sollen nun selber eine potentielle Game-Figur aus Ton formen. In drei Kleingruppen machen wir uns - zunächst noch etwas verhalten - an die Arbeit und basteln lauter Einzelteile einer "Monsterkrabbe" oder wahlweise eines "Krabbenmonsters".
Die fertigen Einzelteile (Bein, Kopf, Panzer, Stacheln...) wird Stefan Wacker später bis zu 60 Mal abfotografieren, mit einem 3D-Scanner einscannen und dort zu einem Monster zusammenfügen. Das recht beeindruckende Ergebnis kann man hier bewundern.
Auch wenn der Workshoptitel "Digitale Spiele als Spiegel der Gesellschaft" nichts mit dem Inhalt zu tun hatte, bin ich amüsiert von der Vorstellung, dass Spiele-Entwickler offenbar auch am Basteln mit Knete und Ton ihren Spaß haben. Ich verlasse den Workshop, um mich noch etwas in der Ausstellung umzusehen. Noch ahne ich nicht, dass meine Augen dort mehr zu tun haben werden, als nur entspannt umherzuschweifen.
>>>Zum Artikel "Apps entwickeln im Unterricht - ein Workshop auf der Play15"