Ritter mit Plüschlanzen, summende Lichtschläuche und verwirrende Klarträume - zu Besuch auf der Ausstellung der Play 15

Ritter mit Plüschlanzen, summende Lichtschläuche und verwirrende Klarträume - zu Besuch auf der Ausstellung der Play 15

Blogbeitrag vom

"Lucid - Ein Klartraum oder auch luzider Traum (von lat. lux, lūcis „Licht“) ist ein Traum, in dem der Träumer sich dessen bewusst ist, dass er träumt. ...  Die wissenschaftliche Erforschung des luziden Träumens hat gezeigt, dass das bewusste Träumen und die Fähigkeit zum willentlichen Steuern von Trauminhalten erlernbar sind. Ein Mensch, der gezielt Klarträume erleben kann, wird auch Oneironaut genannt (von griechisch: oneiros, „Traum“ und nautēs, „Seefahrer“)."

So definiert Wikipedia den Begriff "Lucid" und so heißt auch eines des Spiele, die ich am 17.9. auf der Play15 ausprobieren werde. Aber noch ahne ich nicht, dass ich später einen Klartraum haben und dazu noch nicht einmal schlafen werde. Ich werde durch weiße Räume schweben und nur mit der Kraft meines Blickes Codes entschlüsseln und Türen öffnen...

Die Ausstellung ist das Herz der Play15, des Festivals für kreatives Computerspielen. Hier werden neue und besonders originelle Spiele präsentiert, die man direkt ausprobieren kann.  Dieses Jahr werden außerdem zum ersten Mal Preise für das kreativste Spiel (Most Creative Game) und den innovativsten Newcomer (Most Innovative Newcomer Game) verliehen. Auch einen Publikumspreis gibt es - eine tolle Idee, denn das motiviert natürlich extra, die Spiele zu testen.

Lichtschlauch auf play15 / Bild Andrea SieversWer die Ausstellungsräume betritt, den erwarten mehr als Reihen von Computerbildschirmen: An einer Wand blinkt ein mit einem Controller verbundener Lichtschlauch, der bis zur Decke reicht. Gegenüber warten Steckenpferde aus Plüsch und Stofflanzen vor einer riesigen Leinwand auf ihren Einsatz. An den Wänden hängen von Computerspielen inspirierte, großformatige Bilder und Mosaike.

 


 


 

Was blinkt denn da?

 

"Das Auge ist ein Arschloch", habe ich im Workshop von Gamedesigner Stefan Wacker gelernt. "Es will immer dahin, wo etwas passiert." Und so werde auch ich als erstes vom blinkenden Lichtschlauch an der Wand angezogen. Das soll ein Computerspiel sein?  Ein junger Mann erklärt es mir netterweise, sonst hätte ich das nie kapiert: Durch Wackelbewegungen an einem Joystick schickt man einen grünen Lichtpunkt durch den Schlauch, der dabei andere rote Lichtpunkte frisst und als Ziel das Ende des Lichtschlauches erreichen muss. Am besten gefallen mir die lustigen Sounds, die entstehen, als ich etwas ziellos auf dem Joystick herumdrücke. Plötzliches ein fieses lautes Brummen, alle Lämpchen leuchten gleichzeitig auf und flackern - nichts geht mehr, das Spiel ist offensichtlich abgestürzt. Verschämt schaue ich mich um. "Passiert öfter", sagt der junge Mann. "Einfach den Schalter ausmachen."

Screenshot http://www.luminocitygame.com/Ich ziehe weiter - vorbei an den Plüsch-Steckenpferden eines grade pausierenden Ritterturniers - zu einem klassischen Computermonitor. Bei Lumino City wandert ein kleines Mädchen durch eine entzückende, von Hand gebaute Kulisse, um seinen Großvater zu suchen. Dem Charme des Spiels und der hinreißend gestalteten Welt bin ich schnell erlegen, aber leider komme ich irgendwann nicht weiter und wechsle die Station.

Diesmal muss ein kranker Vater gerettet werden. Seine Söhne schieben ihn auf einer Bahre durch eine mittelalterliche Landschaft, um ihn zum heilenden Wunderwasser zu bringen. Ich schaffe es nicht mal über die erste Holzbrücke und verfluche meine mangelnden Spielkenntnisse. Etwas mehr Erfahrung hätte mir hier sicher weitergeholfen.

Lucid - Wenn Blicke Türen öffnen

Der junge Mann beobachtet mich eine Weile amüsiert und lädt mich dann ein, ein von ihm und vier weiteren Studierenden aus Österreich entwickeltes Spiel mit dem Namen Lucid, zu deutsch "Klartraum", auszuprobieren. Er stellt sich als Philip vor. "Hast du Erfahrung mit Computerspielen?" Ääh. Nicht so. "Kein Problem, ich helfe dir ein bisschen." Er zeigt mir die üblichen Tasten für oben, unten, rechts links und springen - die kenne ich! Aber dann meint er: "So jetzt müssen wir deine Augenbewegungen kalibrieren." Bevor das Spiel losgeht, soll ich mit den Augen einem Punkt auf dem Bildschirm folgen. Denn dieses Spiel spielt man mit den Fingern - und mit den Augen! Gehört habe ich schon vom Eye-Controlled Gaming, aber das noch nie ausprobiert.

Über den Kopfhörer begrüßt mich eine freundliche, warme Stimme, die mir irgendwie bekannt vorkommt. Ich schaue Philip an, er grinst. Er spricht also nicht nur als reale Person zu mir, sondern auch über die Kopfhörer. "Achte genau darauf, was die Stimme dir sagt", beschwört er mich. Durch den Kopfhörer tönt sanft und freundlich die Frage, ob ich noch nicht ganz ausgeschlafen sei und mir vielleicht erst einmal die Auge reiben wolle. Ich starre auf den Bildschirm mit der minimalistischen, in weiß und hellgrau gehaltenen Grafik und warte darauf, dass irgendwas passiert. Nichts rührt sich.

Screenshot LucidFragend blicke ich zu Philip. Er nickt mir aufmunternd zu. Und tatsächlich: Als ich mir wie von der Stimme vorgeschlagen die Augen reibe, öffnet sich auf dem Monitor endlich eine Tür und das Spiel beginnt! "Ist ja verrückt", entfährt es mir. Weiter laufe ich durch weiße Räume mit rechtwinkligen Figuren, Balken, Treppen, Löchern, muss immer wieder Türen öffnen und Gräben überspringen. Das Besondere dabei: Als Steuerung dient nicht nur die Tastatur, sondern auch die eigenen Augen! Gezielt blicke ich Schalter an, um einen Farbcode zu entschlüsseln, schließe beide Augen, um eine Tür zu öffnen oder lasse den Blick schweifen - um weiter zu kommen. Auch wenn ich beim Überwinden der Gräben immer mal wieder ins Bodenlose stürze, brauche ich Philip bald nur noch als moralische Unterstützung ("Du machst das ganz super für jemanden, der sonst nicht spielt."). Von der schlichten, hellen Grafik, dem eigentlich simplen Spielaufbau und dem Gefühl der Macht meiner Augen werde ich völlig in dieses Spiel hineingezogen und schaffe es auch tatsächlich bis zum - etwas unheimlichen - Ende, das hier natürlich nicht verraten wird. Lucid ist das Spiel, bei dem ich am längsten durchhalte und das mich am meisten fasziniert. Deshalb bekommt Lucid am Ende auch meinen kleinen roten Punkt als Zeichen, dass dieses Spiel mein Favorit für den Publikumspreis ist.

Creative Gaming Award

Jolly Juster und Plüschpferd / Bild Andrea SieversAuf der Preisverleihung am Samstag abend gewinnt den übrigens "Jolly Jousting" - ein Spiel, bei dem man sich ganz real mit Helm und Rüstung als Ritter verkleidet und mit seinem Plüsch-Steckenpferd für Ruhm und Ehre kämpfen muss. Anweisungen und Kommentare erhalten die Spielerinnen und Spieler vom virtuellen Schiedsrichter auf der Beamerprojektion. Schwer vorzustelen? Hier kann man sich anschauen, wie das funktioniert: https://vimeo.com/103002429

"Lucid" geht aber auch nicht leer aus: Die fünf Studierenden aus Österreich gewannen wohlverdient den Creative Gaming Award in der Kategorie "Most Innovative Newcomer Game". Herzlichen Glückwunsch an Carina Anziger, Philip Sonnleitner, Dominik Winter, Bianca Zankl und Florian Peinsold. Meine Meinung: Ganz großes Kino! Dass ich am nächsten Morgen Muskelkater im Sehnerv verspüre und im Bad sogar meine Kontaktlinse erst verliere, dann versehentlich zerdrücke, nehme ich für den Spielspaß am Vortag gerne in Kauf.

Lucid Gewinnerfoto / Bild Andrea Sievers

Links

>>>Philip Sonnleitner über das Spiel Lucid, den Gewinner des Creative Gaming Award "Most innovative Newcomer"

>>>Zum Artikel "Apps entwickeln im Unterricht - ein Workshop auf der Play15"