„Die will nur spielen“ – ein Besuch auf der play14
„Die will nur spielen“ – ein Besuch auf der play14
Blogbeitrag vom
Ein bisschen aufgeregt bin ich schon vor meinem ersten Besuch auf der play14 – dem Festival für kreatives Computerspielen der Initiative „Creative Gaming“ in Hamburg. Ich habe doch eigentlich gar keine Ahnung von Computerspielen. Spiele höchstens auf dem Handy mal Snake oder Candy Crush, um mir die Wartezeit auf den Bus zu vertreiben. Nun will ich auf die play 14 Konferenz, wo in Vorträgen und Workshops ein Blick auf kreative Ansätze in der pädagogischen Arbeit mit Computerspielen geworfen werden soll. Da sind bestimmt nur solche blassen Spiele-Nerds, ein paar Informatik Lehrer, Medienpädagogen und vielleicht auch die eine oder andere Medienpädagogin, die findet, dass sie ihre Fachkompetenz in diesem Bereich etwas aufmöbeln sollte - so wie ich. Ich versuche, meine Vorurteile über die Veranstaltung mit einer Tasse Kaffee herunter zu spülen und setze mich aufs Fahrrad.
Keine Tagung, kein Fest, sondern ein Festival
Es geht los mit einer kurzen Einführung zur Entstehung des Festivals. Die Veranstalter betonen, dass die play14 ein Festival ist, „keine Tagung, kein Fest, sondern ein Festival“, wie Christiane Schwinge betont. Und ein Blick ins Programm bestätigt: Hier geht es nicht nur um Kreatives Spielen – oder „Creative Gaming“ - wie es natürlich viel cooler heißt. Hier wird auch bei der Programmgestaltung die Kreativität der Verantwortlichen deutlich: Herzstück der play14 ist eine Ausstellung, an der auch Spielabstinenzlerinnen wie ich ihre Freude haben können: Man kann sich in ein skurriles Gestell hängen, in jeder Hand einen leuchtenden Joystick und mit einer Cyberbrille surreale Traumplaneten erforschen. Man kann weiblichen Spielfiguren mit Schere und Papier eine bequeme Rüstung bauen. Man kann sich an gehäkelten Gespenstern und anderen handgearbeiteten Spielfiguren erfreuen. Man kann sich ulkige Computerspielsounds anhören oder sich seine Lieblings-Spielfigur aus Kuchenteig selber backen.
Neben Konferenz und Ausstellung gibt es ein so umfangreiches Programm, das ich mich gerne vierteilen würde, um alles mitmachen zu können. In einer Stadtrundfahrt kann man wichtige Standorte der Gaming-Industrie kennenlernen. Auf dem Gänsemarkt – mitten in der Hamburger City – kann man drei mal am Tag zwischen shoppenden Touristen ausprobieren, wie man in sogenannten Streetgames Computerspiele im echten Leben nachspielen kann. Und abends kann man auf einer Party entspannen oder sich bei einem Poetry Slam Geschichten aus dem digitalen Spielalltag anhören.
Spiele und Medienbildung
Doch zurück zur Konferenz. Andrew Burn, Professor für Medienbildung an der Universität London eröffnet die Konferenz mit einem Impulsvortrag über Spiele und Medienbildung im Unterricht. In Schulprojekten entwickeln Kinder eigene Computerspiele und lernen auch, diese selber zu programmieren. Andrew Burn referiert leidenschaftlich und engagiert über den Nutzen von Spielen und die Möglichkeiten, die Computerspiele in der Bildungsarbeit bieten. Und erstaunlicherweise stehen der Erwerb von technischen Kompetenzen - aus meiner Sicht das etwas „nerdige“ daran - bei ihm gar nicht so sehr im Vordergrund. Natürlich sei es toll, wenn Kinder Programmieren lernen. Aber viel spannender findet Burn die komplexen Reflexionen und Auseinandersetzungen, die die Kinder bei der Spielentwicklung leisten. Welche Regeln stelle ich auf? Was ist das Thema des Spiels? Wann macht ein Spiel Spaß? Welche Waffen dürfen auftauchen? Welche moralischen Kriterien habe ich?
Uralte Lernprinzipien wie kritisches Denken, Lernen aus Fehlern sowie aktives Lernen fänden sich auch in Computerspielen wieder, meint Burn und vergleicht Computerspiele mit klassischen kulturellen Praktiken wie Theater und Literatur. Auch Filme wurden zu Beginn ihrer Entstehung nicht als kulturelle Praktik ernst genommen. 100 Jahre habe der Film gebraucht, um Gegenstand wissenschaftlicher Forschung zu werden. Burn prophezeit, dass es bei Computerspielen nicht ganz so lange dauern wird.
Aber machen Computerspiele nicht auch einsam, wendet ein Zuschauer vorsichtig ein? Ja, entgegnet Burn. Genauso, wie es auch einsam machen kann, wenn ein Kind sich stundenlang zum Lesen mit einem Buch zurückzieht.
Creative Gaming: Methoden und Praxisprojekte
Nach einer kurzen Pause geht es weiter in die Workshops. Inzwischen sind schon einige meiner Vorurteile auf der Strecke geblieben. Sogar das Geschlechterverhältnis bei Teilnehmenden wie Vortragenden ist einigermaßen ausgewogen – und das, wo ich dachte, dass Games doch nach wie vor eine ziemliche Männerdomäne sind.
Im Workshop „Creative Gaming: Methoden und Praxisprojekte“ von Andreas Hedrich und Sofia Kats weichen dann noch weitere Annahmen auf. Die Teilnehmenden stellen sich vor und siehe da: Sie kommen aus allen möglichen Branchen und Bereichen. Medienpädagogen und eine Lehrerin sind natürlich darunter und auch einige unheimlich blasse und unheimlich gut gelaunte männliche Spielenerds, aber auch ein Ingenieur, eine Theaterregisseurin und der Leiter eines Spielemuseums.
Zunächst lernen wir, wobei es beim „Creative Gaming“ geht. Das Prinzip erscheint einfach: Man macht mit einem Computerspiel alles mögliche – nur nicht das, wofür es eigentlich entwickelt wurde. In der Praxis bedeutet das:
- Ignoriere die Spielregeln! Wer sagt, dass du in einem Ballerspiel schießen musst? Tanz doch zum Beispiel einfach mal Ballett mit deinem Maschinengewehr.
- Nutze das Computerspiel als Spielzeug! Verfilme zum Beispiel mal ein Spiel. Das nennt man „Machinima“ lerne ich – eine Zusammensetzung aus „machine“ und „minima“.
- Nutze das Spiel als Werkzeug! Nimm nur die „Game engine“, also quasi das Betriebssystem des Spiels, und lege eigene Grafiken, Filme, Ideen darauf.
- Denke Computerspielen ganz neu und verknüpfe es mit dem realen Leben! Spiele mit einem echten Tischtennisschläger auf virtuelle Ziele auf einem Bildschirm oder sauge virtuellen Staub mit einem echten Staubsauger.
Das hört sich lustig an, aber selber so eine Idee entwickeln? Da denke ich doch eher an schlechternährte Jugendliche mit fahler Haut und Augenringen, die in einer dunklen Kammer ihre Science-Fiction Fantasien ausleben. Doch dann heißt es plötzlich: „Jetzt dürft ihr euch selber ein Spiel ausdenken“. Wie bitte? Wir werden in Kleingruppen mit je vier einander völlig unbekannten Personen eingeteilt. Wir bekommen sechs Kategorien, nach denen wir unser Spiel erfinden sollen: Ziel des Spiels, Spielstory, Steuerung, Spielmechanismus, Spielumgebung, Spielkomponenten: Für einige Kategorien bekommen wir feste Vorgaben. In meiner Gruppe sind die Vorgaben z.B.: Das Spiel soll per Eye-Toy Kamera gesteuert werden, man muss irgendetwas sortieren und es soll eine sprechende Pflanze drin vorkommen. Äh, super – wie viel Zeit bekommen wir nochmal dafür? „Sieben Minuten – los geht’s!“
Ich arbeite ja gern unter Zeitdruck, aber sieben Minuten erscheinen mir doch reichlich ambitioniert. Doch siehe da: Nachdem die Stoppuhr abgelaufen ist, haben wir alle gemeinsam sechs Computerspiele erfunden.
Meine Gruppe hat das Weihnachtsgeschäft fest im Blick und denkt sich einen Weihnachtsbaum („sprechende Pflanze“) aus, der Anweisungen gibt, wie er geschmückt werden möchte. Auf einem Feld neben dem Baum müssen dazu Kästchen so verschoben werden, dass sie eine Reihe mit Symbolen wie Lametta oder Engel bilden („Sortieren“), erst dann kann der Weihnachtsbaum geschmückt werden. Die Bedienung erfolgt durch Wink- und Wischbewegungen der Hände, die von einer Kamera („Eye-Toy-Kamera“) erfasst werden. Ich finde uns ziemlich gut! Aber auch die anderen haben sehr kreative Ideen entwickelt: Eine Gruppe will auf einem Hometrainer rennen, um Futter für eine virtuelles Pferd einzusammeln. Eine andere Gruppe muss Menschen von einer Insel evakuieren, um sie vor einem Vulkan zu retten, der auszubrechen droht. Und die letzte Gruppe möchte gern zwei Blockflöten an die Spielkonsole anschließen. Wenn man bestimmte Melodien flötet, kann man das Wetter steuern und so Pflanzen wachsen oder auch sterben lassen. Man kann sich dabei auch gegenseitig stören, indem man so flötet, dass das Kornfeld des Gegenspielers im Regen ersäuft. „Entdecke den Nerd in dir selbst“, denke ich grinsend.
Diese tolle Methode hat einen ernsthaften Hintergrund, der sich mit der Sichtweise von Andrew Burn deckt. Es geht darum, sich zu verständigen, wie man miteinander spielen will und wie man im Spiel miteinander umgehen will. Wie Andrew Burn verweisen auch Andreas Hedrich und Sofia Kats auf die philosophischen und moralischen Aspekte der Spielentwicklung. Und in Schulprojekten ist meist auch das Unterrichtsthema wichtig. Wie können trockene Themen spielerisch umgesetzt werden, z.B. im Geschichtsunterricht? Ich erfahre, dass man in einer einzigen Projektwoche mit Kindern und Jugendlichen kleine Computerspiele entwickeln kann, die tatsächlich am Ende der Woche fertig und spielbar sind! Dazu gibt es Software und Tools – und da ein weiteres Prinzip des „Creative gaming“ ist, dass Software nichts kosten darf, gibt’s das Meiste davon auch noch gratis: Es fallen die Namen Kodu, Algodo, Missionmaking oder Moviestore. Ich beschließe, diese Programme alle in einer langen dunklen Winternacht auszuprobieren...
Games in der außerschulischen Jugendarbeit
Immer noch euphorisiert komme ich aus der Mittagspause in den zweiten Workshop, der sich mit dem Einsatz von Games in der außerschulischen Kinder-und Jugendarbeit beschäftigt. Sonja Breitwieser und Sebastian Ring, beide Mitarbeiter des jff, stellen das Konsolenspiel Fifa 13 in einer erweiterten Form vor. Sie wollten mehrere Jugendclubs dazu bringen, nicht nur für sich, sondern auch gegeneinander zu spielen und haben deshalb eine Internetverbindung eingerichtet, mit der mehrere Jugendclubs miteinander verbunden sind. Über eine Kamera können die Teilnehmenden sich gegenseitig auf einem Laptopbildschirm sehen – außer den Spielern gibt es jemanden, der das Spiel kommentiert sowie eine Person, die im Nachhinein Interviews mit den Spielern führt. Da ich noch nie FIFA gespielt habe, will ich es unbedingt ausprobieren und scheitere grandios 3:0 gegen meinen Gegner, der ein erfahrener Konsolenfußballer ist. Dafür mache ich im anschließenden Interview die bessere Figur... Wir spielen lange und ausdauernd - das macht zwar Spaß, doch so richtig inspirierend und kreativ finde ich die Idee nicht. Mich stört auch, dass die ganze Zeit von „den Jugendlichen“ die Rede ist, dabei ist dieses Event – ob beabsichtigt oder nicht – ganz klar an Jungen gerichtet. Dass Mädchen in gemischten Jugendzentren in der Regel unterrepräsentiert sind, bedeutet nicht, dass sie keinen Bedarf an pädagogischen Angeboten haben, sondern dass sie sich oft nicht angesprochen fühlen. Aber vielleicht ließe sich die Idee der Vernetzung von Jugendeinrichtungen ja auch auf andere Spiele oder Events übertragen.
Play14 – die Ausstellung
Mein Play14 Tag klingt in der Ausstellung aus, die in einem alten Bunker – inzwischen ein „Medienbunker“ mit zahlreichen Unternehmen aus der Medienbranche - aufgebaut ist. Dort sind so viele Menschen, dass ich etwas überfordert bin. Die Räume sind dunkel und etwas unübersichtlich, hier bastelt jemand ein Laserschwert, dort verziert jemand anders eine gebackene Spielfigur mit Zuckerguss und weiter hinten schlägt jemand wild mit den Armen um sich, die Augen von einer Cyberbrille verdeckt.
Auf dem Heimweg stelle ich mir vor, dass ich durch eine Computerspielszenerie radele: Ich muss parkenden Autos ausweichen, Fußgänger wegklingeln und sammele Punkte, wenn ich die grüne Ampel noch geschafft habe. Ziel des Spiels: Zu Hause erschöpft, inspiriert und gut gelaunt ins Bett fallen!