Jugendbeteiligung in der digitalen Gesellschaft – ein Tagungsbericht
Jugendbeteiligung in der digitalen Gesellschaft – ein Tagungsbericht
Blogbeitrag vom
Über den eigenen Tellerrand zu blicken ist immer wieder erfrischend. Als Herausgeberin einer Internetseite für Kinder, deren Zielgruppe nicht älter als dreizehn, vierzehn Jahre alt ist, setze ich mich selten mit den Erwartungen von Jugendlichen an digitale Medien und dem Bildungsauftrag von Medienpädagogen an Jugendliche auseinander.
Nun aber schnupperte ich auf der Tagung „Jugendbeteiligung in der digitalen Gesellschaft“, die am 3. und 4. Dezember 2014 in Berlin veranstaltet wurde, in den Bereich digitale Medien für und mit Jugendliche(n). Die Veranstaltung wurde von den Institutionen IJAB – Fachstelle für Internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland e.V., der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung und dem JFF – Institut für Medienpädagogik in Forschung und Praxis - initiiert und durchgeführt.
Tag 1: Idee und Realität
Laut Eigendarstellung sollten auf der Veranstaltung Möglichkeiten der digitalen Partizipation von Jugendlichen vor dem Hintergrund diskutiert werden, wie digitale Medien zur Stärkung unserer demokratischer Strukturen genutzt werden können. Außerdem sollten drei Good-Practice-Beispiele zur Jugendbeteiligung youthpart, youthpart#lokal und peer³ vorgestellt und im fachlichen Austausch neue Ideen und Ansätze zur Umsetzung einer digitalen Agenda im Bereich der Jugendarbeit entwickelt werden.
Meine Erwartungen liegen hoch, vermisse ich in der Kinderseitenlandschaft doch oft den politischen Anspruch medienpädagogischen Arbeitens. Gespannt, welche Vorschläge nun also hier zur politischen Beteiligung gemacht werden, mache mich zur Kalkscheune auf, einem alten, sanierten Fabrikgebäude in der Mitte Berlins. Der Ort ist gut gewählt. Die beiden Haupthallen wirken durch unverputzte Backsteinwände und frei gelegte Stahlträger frisch und offen, zudem bietet er durch verschiedene kleinere Räume genug Platz für die geplanten Workshops.
Als ich in die Halle im Eingangsbereich eintrete, in der ein Buffet locker aufgestellt ist, wundere ich mich, wie viele junge Menschen sich hier tummeln. Auch sehr viele Männer, gefühlte 80 Prozent, scheinen in der Jugend-Medienpädagogik unterwegs zu sein. In der Kinderseitenzene ist es bekanntlich umgekehrt.
Mit der Frage im Kopf, warum Jugendliche für Männer wohl eine attraktivere Zielgruppe als Kinder sind, gehe ich in das obere Stockwerk, wo die Tagung von Marcus Richter, Moderator beim Deutschlandradio Kultur und Radio Fritz, eingeläutet wird. Die Teilnehmer werden begrüßt und zwei Jugendliche vorgestellt, die die Tagung der Erwachsenen mit ihren Eindrücken begleiten und eine Online-Zeitung verwalten werden, in der man während der Tagung Artikel, Bilder und Kommentare einstellen kann und soll.
Chancen und Grenzen von Partizipation
Dann eröffnet Frau Marks, parlamentarische Staatssekretärin beim Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, die Tagung mit der Feststellung, dass digitale Medien für die Partizipation an politischen Entscheidungsprozessen für Jugendliche immer bedeutsamer werden, weshalb es wichtig sei, alle Jugendliche an den digitalen Medien teilhaben zu lassen.
Ich fühle mich in meiner Vermutung bestätigt, dass sich Partizipation bei der Jugendarbeit nicht auf die Bereitstellung von interaktiven Möglichkeiten des Web 2.0s beschränkt, sondern Jugendliche ermutigen soll, über die digitalen Medien hinaus in der demokratischen Gesellschaft mitzuwirken.
Auch die anschließende, komplexe und sehr schnell vorgetragene Rede von Prof. Dr. Röll weist in diese Richtung. Allerdings macht Röll gleich zu Anfang auf die Grenzen der Partizipation aufmerksam. Seiner Meinung nach müssen digitale Medien nämlich nicht zwangsläufig für Teilhabe, sondern können auch für Ausgrenzung stehen. Beispielsweise dann, wenn Partizipation in Projekten in erster Linie genutzt wird, um Jugendliche unter Kontrolle zu bekommen, anstatt sie wirklich mitbestimmen zu lassen. Reine Selbstbestimmung findet sich seinen Angaben nach in Partizipationsmodellen ohnehin nicht, sondern wird ausgeklammert. Vor diesem Hintergrund ist Partizipation die Kehrseite von Kontrollverlust und zugleich der Ruf nach mehr Kontrolle.
Chancen von Partizipation sieht Röll dagegen in Modellen, in denen Beziehungsstrukturen von Gleichgesinnten maßgeblich sind, wie das beispielsweise bei liquid democracy und urban democracy der Fall ist. Gerade das Netz mit seiner dezentralen, horizontalen Kommunikationsstruktur ist ideale Voraussetzungen für diese Art der Partizipation. Durch Adhocracy, das sind Open Source Tools, lässt sich die Beteiligung an öffentlichen Entscheidungen zudem leicht technisch umsetzen. Dies kommt gerade auch der Jugendarbeit zu Gute, da sich Jugendliche ohnehin nicht gerne kontrollieren und für Partizipations-Projekte instrumentalisieren lassen. Was Jugendliche sich genau unter Beteiligung und Mitbestimmung vorstellen, versteht man am besten, wenn man sie in den Medien abholt, wo sie sind, auf Augenhöhe mit ihnen kommuniziert und auch bereit ist, von ihnen zu lernen.
Röll trägt seine Argumente mit viel Engagement und Verve vor, und ich verstehe gut, warum der Vortrag beim Publikum sehr gut ankommt. Trotzdem wirft er bei mir vor allem die Frage auf, ob von Medienpädagogen entwickelte Projekte nicht immer kontrollierenden Charakter haben? Denn selbst wenn man Jugendliche in Projekten dort abholt, wo sie sind, bleibt die Partizipation verordnet und kontrolliert, und fördert nicht die freie Eigenentwicklung und gleichberechtigte Mitbestimmung der Jugendlichen?
Tools für Partizipationsprojekte
Ich hoffe, dass mir der nächste Beitrag mit dem Titel „Gelingensbedingungen für Jugendbeteiligung in der digitalen Gesellschaft“, in dem die drei Projekte youthpart, youthpart#lokal und peer³ von Daniel Poli, Judith Strohm und Kathrin Demmler im Gespräch mit Marcus Richter vorgestellt werden, meine Fragen beantworten können.
Doch meine Hoffnungen werden enttäuscht. Alle drei Redner/innen betonen zwar, dass wir eine Partizipationskultur brauchen, dass diese nicht mehr in offline und online zu trennen sei, und deshalb unbedingt solche Partizipationsangebote im Netz geschaffen werden sollen. Aber insgesamt wird mehr theoretisch über die personellen und technischen Rahmenbedingungen für solche Angebote gesprochen als konkrete Beispiele für gelungene Partizipationsprojekte gezeigt.
Allerdings wurden diese Fragen vielleicht nach der Kaffeepause direkt von den Beteiligten der Projekte beantwortet, die an verschiedenen Messeständen ihre Jugendarbeit erläuterten. Ich selbst konnte an dem Angebot nicht teilnehmen, weil ich mich für zwei sogenannte „Wissensduschen“ (workshops) eingetragen hatte.
In der ersten Wissensdusche „Tools für Kollaboration und Partizipation“, die von Jürgen Ertelt von IJAB geleitet wurde, erfahre ich einiges über die Vorteile der Tools Mindmeister, Padlet und Tricider. Mindmeister eignet sich beispielsweise sehr gut für gleichberechtigte Diskussionen und Brainstorming, da hier jeder jeden Satz korrigieren, hinzufügen oder löschen kann. Padlet ist daneben ein Tool, mit dem man kollaborativ grafisch ansprechende, multimediale (Pinn-)Wände erstellen kann. Und auf tricider kann man sehr einfach Abstimmungen und pro- und contra Diskussionen organisieren. Größter Nachteil aller Plattformen scheint aber zu sein, dass die Plattformen in der Beteiligung meistens nicht gut funktionieren. Jugendliche nutzen diese Plattformen also nicht wirklich gerne.
Warum dies so ist, konnte ich in der nächsten Wissensdusche von Erik Flügge mit dem Titel „Und jetzt mal konkret: Wichtige Schritte zu ePartizipation in der kommunalen Jugendbeteiligung“ erfahren. Denn Flügges Meinung nach funktioniert ePartizipation nur dann, wenn man parallel dazu lokale Gruppenarbeit macht. Die Beziehungsebene zu den Jugendlichen sei unheimlich wichtig. EPartizipation kann also nur Begleitmedium sein, ist als Plattform allein, um Jugendliche zur Partizipation aufzumuntern, aber nicht geeignet.
Hilfreiche Tools sind dann übrigens solche, die eine push-up-Funktion für Smartphones haben.
Mit den Wissensduschen endet die Tagung inhaltlich, und mündet in ein vernetzendes Get-Together. Leider kann ich nicht daran teilnehmen, weil meine Tochter krank zu Hause ist.
Tag 2: Voraussetzungen und Probleme gelungener Partizipation
Im Unterschied zu manch anderen Teilnehmenden, die anscheinend recht spät ins Bett gekommen sind, kann ich mich dafür am nächsten Tag relativ ausgeschlafen der Keynote von Prof. Dr. Gesche Joost, Professorin für Design und Internetbotschafterin der Bundesregierung der EU, zuwenden.
In ihrem Vortrag „Participate! Chancen veränderter Online-Beteiligung für junge Menschen stellt sie verschiedene Beteiligungsprojekte vor und zieht wie Erik Flügge den Schluss, dass Jugendliche sich nur dann beteiligen, wenn Medienpädagog/innen selbst vor Ort sind, oder Jugendliche eine konkrete Beziehung zum Tool haben. Diese kann beispielsweise darin liegen, dass die jeweilige Plattform bei den Jugendlichen angesagt ist. Eine dieser angesagten Partizipationsplattformen ist beispielsweise Coderdojo, ein Lab zum Programmieren, Apps-Basteln etc, wo sich jeder selbst ausprobieren und kreativ sein kann. Wesentliche Fragestellung ist für Joost allerdings weniger, wie man Jugendliche überhaupt auf die Plattformen bekommt, als wie man sie nachhaltig dort hält. Ihrer Meinung nach ist das vor allem dann der Fall, wenn die Software frei zugänglich ist (open source, open access, open educational resources), dem technischen Wandel standhält und sich immer wieder aktualisiert und gleichzeitig die Bedürfnisse verschiedener Zielgruppen abdecken kann.
government 2.0 – Pseudopartizipation und fehlende Transparenz sind der Tod jeder Beteiligung
Nach dem erfrischend locker und gut strukturierten Vortrag werden die Teilnehmenden wieder auf verschiedene Workshops verteilt. Bevor ich mich in den betreffenden Raum aufmache, schaue ich auf einem der bereit stehenden Laptops nach, wie sich die Online-Zeitung, die die Jugendlichen verwalten und selbst tapfer bestücken, entwickelt hat. Doch außer einigen getwitterten Kommentaren sieht die Beteiligung eher mau aus. Ich selbst habe auch keinen Beitrag verfasst. Aber ich verstehe den Sinn der Online-Zeitung ohnehin nicht. Solange die Tagung läuft, kann man sich live mit den Teilnehmenden austauschen. Und außerhalb der Tagung interessiert sich wohl kaum jemand für Beiträge von der Gravität wie „Der Vortrag war sehr interessant“ oder „den letzten Satz habe ich nicht verstanden.“
Mit einem Becher Kaffee in der Hand gehe ich zu meinem Workshop mit dem Thema „Transparenz – Offenheit für Mitbestimmung in gesamten Beteiligungsprozess“. Ich halte Transparenz für die wesentliche Grundbedingung für Mitbestimmung und bin nun neugierig, wie man sie in Projekten herstellen kann.
Kirsten Wohlfahrt von government 2.0 Netzwerk Deutschland e.V. erläutert die Begriffe Transparenz, Partizipation und Kollaboration und weist darauf hin, dass:
- Beteiligung ohne Transparenz nicht möglich ist
- Beteiligung ein kontinuierlicher Prozess ist
- der Tod jeder Partizipation eine Pseudobeteiligung ist.
Richtig ist Partizipation laut Wohlfahrt dann, wenn die Jugendliche Erfolge haben, wenn sie also sehen, dass sie mit ihrer Beteiligung sowohl online als auch offline wirklich etwas bewirken können.
Projekt Laut!Nürnberg - Langer Atem und gute Schnittstellen
Fabian Fiedler stellt das Projekt Laut!Nürnberg vor, in dem gemeinsam mit Jugendlichen lokale Fernsehsendungen und youtube-Filme gemacht werden, und das Internet als Medium genutzt wird, die Mitarbeit transparent zu dokumentieren. Wie die meisten Redner vor ihm, hat auch er die Erfahrung gemacht, dass Jugendliche nur dann mitmachen, wenn man vor Ort mit ihnen arbeitet, die Projekte in der peergroup bekannt sind und auch in den bereits vorhandenen Plattformen wie facebook, twitter, instagram, whatsapp und youtube bereits funktionieren. Fiedler setzt noch eins drauf, als er sagt, dass es außerdem sehr schwer sei, Jugendliche in den Projekten zu halten und dies nur möglich sei, wenn man einen sehr langen Atem habe. Projekte, die nur über einen kurzen Zeitraum von ein, zwei Jahren laufen, machen vor dem Hintergrund also fast keinen Sinn.
Was bleibt?
Als ich mich nach dem Ende der Tagung auf das Fahrrad schwinge, um wieder nach Hause zu fahren, weiß ich zwar immer noch nicht, wie man Jugendliche zur politischen Mitbestimmung und zur Partizipation ermuntern kann, aber immerhin habe ich hautnah erlebt, dass es ein Leben nach der Kindheit gibt. Und in diesem Leben gelten Portale wie facebook, youtube, google+, instagram & Co offensichtlich nicht als Gefahrenstellen, sondern als Chance, sich mit Jugendlichen zu vernetzen und sie zur Kollaboration und Partizipation zu nutzen.
Ich frage mich nur, wie Jugendliche von einem Tag auf den anderen kompetent sein sollen, mit den Medien richtig umzugehen, wenn man sie in ihrer Kindheit mit allen möglichen Tricks von solchen Portalen fernhält?