Jugendmedienschutz: Was Kinder und Jugendliche dazu sagen und welche Wünsche sie haben

Jugendmedienschutz: Was Kinder und Jugendliche dazu sagen und welche Wünsche sie haben

Blogbeitrag vom

Mit dem Smartphone mit den Freund*innen chatten, lustige Videos anschauen oder ein spannendes Spiel zocken. Das gehört zum Alltag vieler Kinder und Jugendlicher. Neben den Chancen, die digitale Medien bieten, können Kinder und Jugendliche im Netz auf Herausforderungen und Risiken stoßen, zum Beispiel auf Kostenfallen oder Cybermobbing. Vor allem Eltern und pädagogische Fachkräfte machen sich viele Gedanken zu diesem Thema. Doch was denken Kinder und Jugendliche selbst über Jugendmedienschutz? Welche problematischen Situationen und Angebote nehmen sie bei der Nutzung von digitalen Angeboten wahr? Darüber sprachen wir mit Elena Frense, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Medienerziehung im Dialog in der Stiftung Digitale Chancen. Sie hat sich in ihrer Masterarbeit damit auseinandergesetzt, welche Perspektiven Heranwachsende auf das Thema Jugendmedienschutz haben und dazu jüngst das Buch „Partizipativer Jugendmedienschutz“ veröffentlicht.

Was hat dich dazu bewogen, die Perspektive von jungen Nutzer*innen auf den Jugendmedienschutz zu untersuchen?

In meinem Studium der Kindheitsstudien und Kinderrechte habe ich mich ausgiebig mit Kinderrechten beschäftigt. Währenddessen habe ich auch ein dreimonatiges Praktikum beim Bundesfamilienministerium absolviert, wodurch ich mit der Novellierung des Jugendschutzgesetzes in Berührung gekommen bin. Zudem habe ich schon während des Studiums in der Stiftung Digitale Chancen im Projekt kinderrechte.digital gearbeitet und mich u. a. mit Onlinerisiken und Kinderrechten in der digitalen Welt auseinandergesetzt. Dabei habe ich gemerkt, dass es in dem Diskurs vielfach an der Perspektive von Kindern und Jugendlichen mangelt. Ich habe mich gefragt: Was wünschen und erhoffen sich eigentlich die jungen Nutzer*innen vom Jugendmedienschutz? Was sind ihre Bedarfe? Und ich wollte gerne mehr darüber erfahren, welche Risiken im Netz für Kinder und Jugendliche selbst relevant sind.

Wieso hast du dich dazu entschieden, Kinder und Jugendliche zum Thema Jugendmedienschutz zu befragen?

Die Beteiligungsrechte der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen - insbesondere Artikel 12 - besagen, dass Kinder in allen Angelegenheiten, die sie betreffen, gehört werden sollen und ihre Meinung zu berücksichtigen ist. Der Jugendmedienschutz ist ein Thema, das die Lebenswelt von Kindern und Jugendlichen direkt betrifft. Deshalb haben sie auch bei diesem Thema ein Recht dazu, gehört zu werden. Ich wollte gerne von Heranwachsenden selbst erfahren, was sie zum Thema Jugendmedienschutz zu sagen haben, denn sie sind die Expert*innen ihrer Lebenswelt.
Durch eine Befragung können sehr genaue Einblicke in die Bedarfe gewonnen werden, die Erwachsenen möglicherweise in der Form gar nicht sofort ersichtlich sind.

Du hast im Rahmen deiner Masterarbeit Workshops mit Kindern und Jugendlichen durchgeführt: Wie sahen diese aus?

Ich wollte gern mit verschiedenen Altersgruppen zusammenarbeiten, auch weil ihre Lebenswelten und ihr Mediennutzungsverhalten unterschiedlich sind. Deswegen habe ich zwei Workshops durchgeführt: einen Workshop mit Schüler*innen einer 6. und einen mit Schüler*innen einer 10. Klasse. Ein Workshop war insgesamt drei Schulstunden lang und erstreckte sich über mehrere Tage. Anschließend habe ich pro Klasse mit Kleingruppen jeweils zwei Gruppeninterviews durchgeführt.

Inhaltlich haben wir insgesamt drei Schwerpunkte behandelt: Was Jugendmedienschutz in seinen Facetten ist, was er für Kinder und Jugendliche bedeutet und wie er sie betrifft. Danach haben wir über Onlinerisiken gesprochen und anschließend haben wir konkrete Handlungsempfehlungen für den Jugendmedienschutz erarbeitet.

Beim Thema Onlinerisiken haben wir uns verschiedenen Plattformen angesehen und über dort existierende Risiken und mögliche Umgangsstrategien gesprochen. Einige Heranwachsende haben zum Beispiel berichtet, dass sie bereits in Onlinespielen von Unbekannten angeschrieben wurden und dass sie dies unangenehm fanden. Zudem wurden auch bestimmte Funktionen in Apps wie beispielsweise die Flammen auf Snapchat problematisiert. Diese erhält man, wenn man jeden Tag mit einer Person ein Foto austauscht, was dazu verleite, jeden Tag Fotos zu machen und zu verschicken. Das war insbesondere in der sechsten Klasse Thema: Die Schüler*innen haben erzählt, dass es zwar Spaß mache, Fotos zu verschicken und dafür Flammen zu erhalten, dass dadurch aber gleichzeitig eine Abhängigkeit entstehe.

Welche Handlungsempfehlungen haben die Kinder für den Jugendmedienschutz erarbeitet?

Dazu sollte ich zunächst kurz erläutern, dass es nicht nur den einen Jugendmedienschutz gibt, sondern im Prinzip drei Säulen: den regulatorischen (gesetzlichen), technischen und erzieherischen Jugendmedienschutz. Alle drei Ausrichtungen des Jugendmedienschutzes sollten zusammengedacht werden: Heranwachsende sollten dazu befähigt werden, selbstbestimmt am digitalen Raum teilzuhaben und dabei gleichzeitig durch rechtliche Rahmenbedingungen und technische Features geschützt werden. Zu den drei Säulen des Jugendmedienschutzes habe ich mit den Schüler*innen Handlungsempfehlungen erarbeitet.

Zum regulatorischen Jugendmedienschutz: In diesem Kontext wurden viele Handlungsempfehlungen erarbeitet, die sich gut mit Forderungen nach Safety- und Privacy-by-Design beschreiben lassen.
Ein Wunsch vieler Heranwachsender war zudem eine Kennzeichnungspflicht für Filter-Apps. Das bedeutet, dass mit einem Filter bearbeitete Fotos auch als solche gekennzeichnet werden, damit jede*r weiß, dass das Foto bearbeitet wurde. Denn die Schüler*innen sehen es als problematisch an, dass durch Influencer*innen in sozialen Netzwerken oft unerreichbare Schönheitsideale vermittelt werden. Diese unrealistische Ästhetik würden sie gerne aufbrechen.
Zudem gab es das starke Bedürfnis nach Veränderungen im System der regulierten Selbstregulierung, insbesondere hinsichtlich der Alterskennzeichen. Vorgeschlagen wurde beispielsweise, weitere Altersstufen einzuführen, da das jetzige System Unterschiede in der Entwicklung zwischen den Altersstufen zu wenig differenziert betrachte, weshalb beispielsweise für Kinder im Alter von 9 bis 10 Jahren Inhalte ab 6 Jahren als langweilig und Inhalte ab 12 Jahren als zu spannend empfunden werden. In Bezug auf den Austausch in Spielen und in sozialen Netzwerken gab es den Wunsch nach verstärkter Moderation in Chats und einem effektiven System, um Personen zu melden, die sich auffällig oder aufdringlich verhalten - eine Erfahrung, die viele der befragten Kinder bereits gemacht haben.

Zum technischen Jugendmedienschutz: Die befragten Schüler*innen wünschten sich, durch technische Einstellungen und Features vor gewalthaltigen oder verstörenden Inhalten geschützt zu werden, indem sie auf solche Inhalte erst gar keinen Zugriff haben. Auch gab es die Idee, eine Art „Kinder-Account“ auf bei ihnen beliebten Plattformen wie Instagram, Snapchat oder Tiktok zu etablieren - analog zu YouTube Kids oder Netflix Kids.

Zum erzieherischen Jugendmedienschutz: Hier waren sich die meisten einig, dass möglichst früh mit der Medienerziehung begonnen werden sollte, um zu erlernen, wie man digitale Medien kompetent nutzen kann. Als vielversprechendes Format wurde insbesondere die Peer-Education, also das Lernen mit und von Gleichaltrigen, angesehen. Hier wurde der Wunsch geäußert, dass beispielsweise Gleichaltrige von ihren (negativen) Erfahrungen im Netz - wie zum Beispiel mit Cybermobbing - vor Ort in Schulen berichten und über Risiken aufklären.

Auf Grundlage deiner Ergebnisse: Welche Handlungsempfehlungen kannst du Eltern und pädagogischen Fachkräften aussprechen?

Was sich Kinder in puncto Medienerziehung gewünscht haben ist eine gute und offene Kommunikation mit ihren Eltern. Es geht also darum, dass Eltern mit ihren Kindern über ihre Mediennutzung und ihre Medienvorlieben ins Gespräch kommen, ihnen zuhören und sich dafür interessieren, wo und wie sich ihre Kinder in digitalen Räumen bewegen. Ein Kind meinte: „Die Eltern wissen halt auch nicht wirklich viel über Instagram und TikTok oder so. Und dann kann man halt irgendwie nicht so stark mit denen darüber reden.“ (weiblich, 11 Jahre). Daher plädiere ich dafür, dass Eltern offen sein sollten, sich mit der ihnen manchmal unverständlich erscheinenden medialen Lebenswelt ihrer Kinder auseinanderzusetzen.

Auch für die pädagogischen Fachkräfte gilt, dass sie sich nicht vor den digitalen Realitäten der Kinder verschließen sollten, weil sie ihnen fremd sind oder sie sie nicht für gutheißen. Der erste Schritt dazu ist, dass sich auch pädagogische Fachkräfte dafür interessieren, was Kinder und Jugendliche an digitalen Medien spannend finden und warum bestimmte Aktivitäten auf sozialen Netzwerken, wie beispielsweise das Posten von Stories auf Instagram oder kurzen Videoclips auf TikTok, so attraktiv für die Kinder und Jugendlichen sind. Zudem ist es wichtig, im schulischen und außerschulischen Bildungsbereich für die Auseinandersetzung mit digitalen Themen Räume zu schaffen. Was mich besonders berührt hat in den Workshops war eine Schülerin, die zu mir sagte: „Ich fand es auch gut, dass wir generell überhaupt mal in der Schule darüber geredet haben, weil sonst ist es einfach so, man benutzt die ganzen Sachen und keiner redet darüber, weil es zur Normalität wird, aber eigentlich ist es ja schon was, womit man sich beschäftigen sollte, weil es ja auch viele Vor- und Nachteile gibt.“ Das hat mir die Augen geöffnet, dass es da einen wahnsinnig großen Bedarf gibt, der nicht gedeckt ist.

Abschließend kann ich nur dafür plädieren, dass mit Medienerziehung möglichst früh - wenn möglich ab dem Kindergarten - begonnen werden sollte. Und dass Kinder stärker in die Ausgestaltung des Jugendmedienschutzes und die Entwicklung von entsprechenden Maßnahmen eingebunden werden. Denn Kinder wissen meiner Erfahrung nach sehr gut, wovor sie geschützt werden möchten - sofern man ihnen den Raum gibt, dies zu reflektieren und man sie in ihren Positionen ernst nimmt.

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