Hinter den Kulissen des Seitenstark-Chats - Erfahrungsbericht eines Modis

Hinter den Kulissen des Seitenstark-Chats - Erfahrungsbericht eines Modis

Blogbeitrag vom

Montag, 14:20 Uhr, ich mache mich mit meinem Rad auf den Weg ins Zentrum für Medien und Kommunikation der Universität Leipzig. Hier öffnet der Seitenstark-Chat täglich für fünf Stunden seine Pforten, auch samstags, da können Kinder und Jugendliche zwischen 8 und 16 Jahren für 2,5 Stunden unter pädagogischer Betreuung chatten.

Ich beginne heute als schreibende Moderatorin und melde mich mit meinem Nickname *Jen* im Chat an, sobald *Emma*, die zweite Moderatorin ihn geöffnet hat. Sie beginnt die Schicht als freigebende Moderatorin und liest jeden Beitrag, den die Kinder verfassen und entscheidet über die Freigabe. Nach einer Stunde und 15 Minuten tauschen wir die Rolle. Wir sind im Chat immer zwei Moderatoren/innen, denn so können wir uns am besten auf die jeweilige Aufgabe konzentrieren und uns abstimmen.

Moderation des Seitenstark-Chats, Foto: Jenny TheobaldKeine Schicht ist wie die andere, jede ist einzigartig. Man weiß nie, was einen erwartet. Oft fragen Chatter/innen mich, ob mir die Arbeit Spaß macht und ob es nicht langweilig ist „jeden Beitrag zu lesen“. Die Frage ob es mir Spaß macht kann ich nur bejahen, deshalb interessiert es die Kinder auch brennend, wie alt wir sind – mein genaues Alter verrate ich nicht immer – und wie man Modi werden kann, denn wenn sie älter sind, möchten sie auch gern Moderator/in werden.

Die Chatterin maghund schreibt mich an und erzählt mir aufgeregt von der Eule, die sie heute selbst genäht hat. Ich frage sie, wo sie genäht hat, welche Stoffe sie verwendet hat und wie groß die Eule geworden ist. Sie beschreibt ganz genau, wie sie vorgegangen ist und wie die Eule aussieht. Ich frage sie, ob sie Lust hätte Pepe, dem Maskottchen des Chats, ein Foto ihrer Eule mitsamt Beschreibung zu schicken, dann könnte er es in Pepes Monatsnews schreiben und so könnten die anderen Chatter/innen gemeinsam mit ihren Eltern auch eine Eule nähen. Sie findet das toll und will wissen, wie sie das machen soll und ich erkläre ihr, wie man ein Foto macht und es per E-Mail versendet. Am Ende empfehle ich ihr noch Quaks Tümpeltipps „Gestalten, basteln, kreativ werden”, denn dort kann sie mit anderen Bastelideen austauschen. Sie bedankt sich und wir verabschieden uns.

Im Chat geht es auch heute um zahlreiche Themen die immer wiederkehren. Die Kinder schreiben über Liebe, Freundschaft, Hobbys, Lieblingsbands, Schule und Ferien. Bei allen Themen achten wir darauf, dass ihre Beiträge keine jugendgefährdenden Inhalte enthalten, die Kinder ihre persönlichen Daten schützen und sich sozial gegenüber den anderen verhalten. Wenn sie beispielsweise schreiben, dass sie in einem Verein sind, erlauben wir aus Sicherheitsgründen nicht, dass sie den Namen des Vereins nennen, da sie dieser in Kombination mit ihrem Wohnort auffindbar machen würde. Die Frage danach lassen wir noch zu, auch die Frage nach Telefonnummern oder die genaue Adresse, die Antwort weisen wir allerdings ab. Den Grund erklären wir den Kindern im Anschluss, damit sie lernen, welche Daten sensibel sind und beim nächsten Mal Bescheid wissen.

Einige unterhalten sich gern über Lieblingsfächer in der Schule, Musik oder Filme, die sie mögen, auch Texte werden teilweise zitiert und diskutiert. Hierbei achten wir darauf, dass die Texte kindgerecht sind und es sich nicht um indizierte Texte handelt. Bei Unterhaltungen über Filme werden nur solche freigegeben, die von der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK) mit einer FSK 12-Kennzeichnung und darunter versehen sind.  

Einige Chatverläufe bringen uns zum Schmunzeln. Zum Beispiel, wenn die Chatter/innen nach ein/zwei Fragen zum Geschlecht, Alter und Aussehnen direkt fragen: „Wollen wir zsm (zusammen) sein?“ und dann nach einem „Ja“ kommt: „Wie heißt du eigentlich?“. Die Kinder sind da einfach unbefangener und nutzen den Chat als Erprobung in Sachen Verliebtsein und zum einander Kennenlernen. Es macht auch Freude, wenn sie sich über ihr Lieblingsessen unterhalten oder einander helfen, zum Beispiel indem sie sich Ratschläge bei Liebeskummer oder Streit mit den Eltern geben.

Wir regen auch in regelmäßigen Abständen zu Diskussionen zu bestimmten Themen an, denn es gibt neben dem regulären Chatbetrieb auch regelmäßig Sonderchats zu aktuellen Themen wie beispielsweise die Fußball-Weltmeisterschaft, Umweltereignisse, internationale Unruhen etc. Außerdem gibt es die Themenchats mit Expert/innen, zu Themen, die die Kinder interessieren oder beschäftigen, wie zum Beispiel Tiere, Geschichte, Religion, Archäologie, Leben als Vegetarier/in und viele mehr. So wird der Austausch zwischen den Kindern angeregt und der Wissensdurst der Chattenden gestillt.

Einige Kinder kennen sich bereits, da sie regelmäßig im Chat sind. Teilweise verabreden sie sich, um im Chat in Kontakt zu bleiben. Einige möchten sich allerdings neben dem Chat auch außerhalb kontaktieren, beispielsweise im „Real life“, in sozialen Netzwerken, in nichtmoderierten Foren oder in Messengern. Deshalb versuchen sie hin und wieder durch Abkürzungen oder Geheimbotschaften ihre Kontaktdaten auszutauschen. Einige verpacken in ihren Beiträgen geschickt Zahlenkombina­tionen, um sich so ICQ- oder Telefonnummern durchzugeben. Das haben wir durchschaut und geben daher Beiträge wie: „also ich habe 1 Katze, 8 Rennmäuse, 3 Vögel, und 1 Hund und außerdem sammle ich schöne Steine und Muscheln, ich habe schon 29 Steine und 7 Muscheln ...“  nicht mehr frei. Wir erklären ihnen dann, dass sie die Haustiere und gesammelten Dinge nicht so genau beziffern brauchen. Es reicht auch zu schreiben: „Ich habe einige Haustiere: .... und sammle schöne Steine und Muscheln. Ich habe schon echt viele ...“

Die Chatter/innen beschließen oft Chat-Freunde oder ein Chat-Paar zu sein und verabreden sich dann für einen nächsten Chat  bevor sie sich mit einem „bb (bis bald) ... ich muss off“ verabschieden.