Hamburger Radiofüchse beißen sich durch

Hamburger Radiofüchse beißen sich durch

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Kurz vorweg: Seit 2005 leite ich gemeinsam mit Kerstin Riechert das interkulturelle Kindermedienprojekt www.radiofuechse.de. Kerstin ist Erzieherin im Kinderglück e.V. - eine Einrichtung der offenen Kinder- und Jugendarbeit, die seit 2012 auch die Ganztagsbetreuung einer Grundschule übernimmt. Ich bin freiberufliche Medienpädagogin und als Freiberuflerin auch zuständig für Konzeption, Fundraising, Teamorganisation, Sachberichte und medienpädagogische Redaktionsleitung des Projektes. Seit Gründung treibt uns die Frage um: Wie können wir unser Projekt finanzieren? Aber wenn ich zurückblicke, ist auch die Frage spannend: Wieso kann es uns überhaupt schon solange geben? Eine kleine Finanzgeschichte der Radiofüchse....  Foto: Andrea Sievers/ Radiofüchse

2004 In den Sommerferien leite ich im Kinderglück ein Radioprojekt, gemeinsam mit der Erzieherin Kerstin Riechert. Finanzierung: Mittel, die das Beteiligungs- und Medienkompetenzprojekt „School’s out! Radio“ beantragt hat.

2005 Nach den Sommerferien fragen die Kinder nach: Sie wollen weiter Radio selber machen und zwar regelmäßig! Kerstin und ich stellen erfolgreich einen Antrag bei „5000xZukunft“, ein Fördertopf von Aktion Mensch. Die erste offene Kinderradioredaktion im Kinderglück kann starten. Ein Jahr lang können wir uns von dem Geld einmal in der Woche mit den Kindern treffen. Die Kinder erfinden ihren Redaktionsnamen: „Radiofüchse“! Der Name steht bis heute, obwohl wir längst mehr machen als „nur“ Radio.

2006 Ich wende mich an Schulen im Umfeld von Kinderglück: Interesse an einem Radioprojekt? An der Ganztagsschule Ludwigstraße (heute: Schule Sternschanze) beginnt der erste Radiokurs im Ganztag. Verhandlungen mit der Schulleitung zur Finanzierung laufen zäh. Das Honorar beträgt 15,03 €/UE. Ich möchte gern Vorbereitungszeit, Organisation und Schnitt bezahlt bekommen. Wir einigen uns, dass ich 1 UE für die Vorbereitung bezahlt bekomme. Die offene Redaktion wird teilweise aus Spenden und aus Mitteln des Hamburger Spendenparlamentes bezahlt.

2007 Das Interesse der Schulen ist enorm: Wir bieten zusätzlich einen Radiokurs an der Sprachheilschule Bernstorffstraße an.

2008 Ein Anruf aus der Medienanstalt Hamburg/ Schleswig-Holstein (MA HSH): Du machst doch dieses Kinderradioprogramm beim freien Radio, oder? Wir würden uns gern mal mit Dir treffen. Es folgen: Ein sehr nettes Gespräch, ein Antrag – eine Förderung über 5.000,- €. Ein weiteres Jahr Radiofüchse ist gesichert.

2009 Wieder ein Gespräch mit der MA HSH: Sollen wir Euch weiter fördern, müsst ihr Euch weiter entwickeln. Wie wäre es mit einer Internetseite? Es wäre doch schön, wenn man die Sendungen auch zeitunabhängig hören könnte… Ja, gute Idee, aber dann sollen die Kinder die Internetseite auch mit entwickeln und selber redaktionell betreuen, finden wir. Im Sommer wird unser Projekt zum ersten Mal ausgezeichnet: Wir gewinnen den bundesweiten Dieter-Baacke-Preis für medienpädagogische Projekte – und sind stolz wie Bolle! 3.000,- € Preisgeld helfen uns über einige Durststrecken hinweg. Ein erneuter Antrag bei der MA HSH, diesmal über rund 10.000,- €. Für die Erstellung einer Internetseite reicht das nicht. Wo gibt’s noch Geld? Wir stoßen auf Ein-Netz-für-Kinder: Das passt doch, auch wenn wir Angst vor dem Verwaltungsaufwand haben!

2010 Ein Netz für Kinder und die MA HSH fördern gemeinsam die Radiofüchse über zwei Jahre. Die Summe ist für unsere Verhältnisse schwindelerregend: Rund 34.000,- €! Davon sollen vor allem die Homepage und die Honorare für Medienpädagog/innen bezahlt werden. Das Projekt wächst: Inzwischen betreut ein Team von acht Medienpädagog/innen und Journalist/innen bis zu zehn regelmäßige Gruppen und Angebote. Neben Radioredaktionen gibt es nun auch Onlinereporter/innen, die wir zu Internetexpert/innen ausbilden und die die Internetseite mit Inhalten bestücken. Außerdem startet ein Kinderchat. Wir wissen zwar nicht so richtig, wie das eigentlich geht – aber man kann sich ja schlau machen!

Foto: Andrea Sievers/Radiofüchse2011 Bruch mit der Firma, die unsere Homepage gemacht hat. Vieles funktioniert nicht richtig, immer wieder heißt es, dass unsere Vorstellungen zu kompliziert, zu aufwändig und unmöglich umzusetzen seien. Und dafür zahlen wir unheimlich viel Geld. Wir hören uns um: Die Reaktionen sind unterschiedlich: Einige Betreiber von kleineren Kinderinternetseiten schauen uns mit großen Augen an: "Wieso ist das bei Euch so teuer?" Rund 10.000,- € haben wir in die Entwicklung der Seite gesteckt… Ich recherchiere: Zwei weitere Kontakte enden nach kurzer Zeit sinngemäß mit den Worten „Unter 20.000,- € ist da nichts zu machen…“ Aber kaum jemand aus der Branche hat Erfahrungen in der Gestaltung von Kinderseiten. Es herrscht die Meinung: "Ach, das kann ja nicht so anders sein als bei Erwachsenen..." Oh doch, finden wir.

2012 Da in Hamburg großflächig Ganztagsschulen eingeführt werden, müssen offene Einrichtungen sich neu aufstellen, um ihre Existenz zu rechtfertigen. Denn warum soll die Einrichtung ab 14 Uhr geöffnet sein, wenn die Kinder alle bis 15:30 Uhr in der Schule sind? Die Folge: Kinderglück e.V. wird komplett umstrukturiert. Die Einrichtung kooperiert umfassend mit der Grundschule Thadenstraße, führt Schulkurse durch und organisiert die verbindliche Ganztagsbetreuung der Schüler/innen bis 19 Uhr und in den Schulferien. Doch die Einrichtung will auch weiterhin offen bleiben, so dass alle Kinder aus dem Stadtteil sich dort treffen können. Daher gibt es ab 16 Uhr und in den Ferien auch offene Angebote für alle Kinder aus dem Stadtteil. Zahlreiche Angebote  werden von den Radiofüchsen organisiert. Die Umstrukturierung kostet die festen Mitarbeiter/innen enorme Kräfte. Zum Glück läuft die Förderphase der Radiofüchse noch bis Jahresende 2012 und wir würden sie gern verlängern...Außerdem gewinnen wir unseren zweiten Preis: Den dritten Platz des Budnianer Hilfepreises – dotiert mit 2.500,- €!

2013 Da wir sparsam mit unserem Geld umgegangen sind, können wir die Förderphase der MA HSH und von Ein-Netz-für-Kinder um ein Jahr verlängern. Außerdem fördert die Norddeutsche Stiftung für Umwelt und Entwicklung N.U.E.  unser Projekt „Die Radiofüchse Umweltreporter“ mit 7.500,- €. Endlich finden wir einen Webdesigner, der uns einen bezahlbaren Vorschlag macht: „Ja, das müsste gehen. Nein, so kompliziert ist das nicht.“ Wir bekommen einen Kostenvoranschlag von 3.867,- € - günstiger wird’s wohl nicht. Der Dachträger von Kinderglück springt ein und hilft uns bei der Finanzierung. Aber Ende 2013 ist der Topf wieder leer. Eigentlich. Denn wir haben einen Preis gewonnen – den mit 3.000,- € dotieren Kindermedienpreis der Bundeszentrale für politische Bildung.

2014 Zum Jahresende 2013 kommt die Ablehnung unseres Folgeantrages bei der MA HSH. Wir überbrücken unsere Arbeit mit dem Preisgeld. Gleichzeitig werden wir mit zahlreichen privaten Spenden unterstützt! Das Projekt St. Pauli Kiezhelden hilft uns dabei. Wir führen Gespräche mit der Hamburger Bürgerstiftung, stellen einen Folgenantrag bei der N.U.E. – wir möchten wenigstens Teile unseres Projektes weiterführen! Die Anträge werden bewilligt, jedoch insgesamt fast 3.000,- € weniger als beantragt. Es hilft nichts – wir müssen sparen: Ein Chatnachmittag wird eingespart – Ferienprojekte finden nicht mehr statt.

Sollen wir doch aufhören, oder nicht? Eine Infoveranstaltung gibt neuen Mut: Die Initiative "Künste öffnen Welten" fördert sogenannte Bündnisse für Bildung. Kein Problem für uns - Bündnisse bilden wir immer gern! Jetzt heißt es mal wieder: Daumen drücken.

Foto: Andrea Sievers/ RadiofüchseUnd sonst so? Ein nichtkommerzielles Kindermedienprojekt zu leiten heißt, auf einer Achterbahn der Gefühle zu reisen: Einerseits breitet sich immer wieder eine tiefe Ermüdung aus: Über den teilweise bürokratischen Verwaltungsaufwand, über die vielen unbezahlten Stunden, die ich mit Sachberichten und Anträgen verbringe, über Kerstins abendliche Überstunden bei der Abrechnung, über die vielen technischen Probleme, die die Homepage mit sich bringt und auch darüber, dass die Stadt Hamburg sich so wenig für die Medienkompetenzförderung ihrer Kinder einsetzt. Auf der anderen Seite steht das Hochgefühl über drei Preise, mit denen die Radiofüchse ausgezeichnet wurden. Die Bestätigung, die wir von Kindern und Eltern bekommen und die vielen privaten Spender/innen und Unterstützer/innen. Die lustigen Ideen der Kinder, wenn sie sich Themen überlegen und dabei zu richtigen Medienexpert/innen werden. Und der Spaß und die Begeisterung daran, neue Ideen und Projekte zu entwickeln, von denen man am Anfang dachte: "Das wäre toll, aber das kriegen wir nicht hin."Denn warum sollte das, was wir den Kinderreporter/innen vermitteln nicht auch für uns Erwachsene gelten: "Doch! Das schaffst Du! Trau Dich, hab Mut und Geduld!"