"Also, unser Gehirn wird mehr angestrengt..." Von der Arbeit mit Kinderreportern

"Also, unser Gehirn wird mehr angestrengt..." Von der Arbeit mit Kinderreportern

Blogbeitrag vom

„Ich find´s cool, dass halt Kinder selber Radio machen können und ja, dass wir auch dann nicht nur so langweilige Sachen machen, sondern auch richtig prominente Leute treffen können oder so bei richtigen Veranstaltungen mitmachen können. Auch so kleine Sachen, die Spaß bringen, dass wir halt auch selbst entscheiden können, was wir machen wollen, selber Ideen sammeln können, was wir machen wollen."
Die Radiofüchse in Action, (c) Andrea Sievers

Ein ganz normaler Interviewtermin...

"Nein, ich will den aber jetzt nicht interviewen!"

"Nia, wir hatten aber abgesprochen, dass du jetzt dran bist, und außerdem..."

"Aber ich will unbedingt auch ein Autogramm von Bibi haben!!"

"Dann ist es aber vielleicht zu spät."

"Boah, na gut - dann gib mir eben das Mikrofon..."

Diese kleine Debatte, die sich in Wirklichkeit noch etwas mehr in die Länge zog, hat sich so im Hamburger Abaton Kino auf der Premiere von "Bibi&Tina Teil 3 - Mädchen gegen Jungs" abgespielt. Mit Pressekarten ausgestattet stehen drei Radiofüchse Reporterinnen nach dem Kino in Reihe 3 und genau hinter uns sitzt  - zufällig! - der für "Bibi&Tina" zuständige Regisseur und nebenbei einer der bekanntesten deutschen Filmemacher: Detlev Buck! Ein Interview mit ihm soll natürlich unbedingt auf unserer Kindermedienplattfomr www.radiofuechse.de veröffentlicht werden.

Die Diskussion der drei Reporterinnen im Alter von 11 Jahren, denen die Prominenz von Detlev Buck offenbar völlig egal ist - schließlich ist er im Film ja gar nicht zu sehen! - spielt sich direkt vor dessen Nase ab. Denn der Film ist vorbei und vorne verteilen die Stars Lina Larissa Strahl ("Bibi"), Phil Laude ("Urs Nägeli") und Charlie Hübner ("Hans Kakmann") gerade Autogramme. Detlev Buck jedoch ist auf seinem Kinosessel sitzen geblieben und amüsiert sich sichtlich über das Geschehen in der Sitzreihe vor ihm.

Als betreuende Medienpädagogin heißt es da Contenance bewahren, lächeln und motivierende Worte finden ("Doch, Detlev Buck ist wirklich total berühmt!"). Außerdem hoffen, dass die Akkus im Aufnahmegerät noch nicht leer sind und das Mikrofonkabel das Gezerre der Mädchen schadlos überstanden hat. Denn eigentlich sind die drei 11jährigen Radiofüchse schon Profis und sonst nicht so leicht aus der Ruhe zu bringen.

"Hallo, ich bin Nia von den Radiofüchsen. Haben Sie kurz Zeit für ein Interview?"

Detlev Buck hat Zeit. Geduldig und charmant beantwortet er die Fragen der Mädchen, ob er schon als Kind Regisseur werden wollte und welche Szene besonders knifflig zu drehen war.

Die Radiofüchse mit Lina Larissa Strahl und Phil Laude bei der "Bibi&Tina"-Premiere, (c) Andrea SieversKinder als Medienmacherinnen und Medienmacher

Es sind genau diese Momente, die in der Arbeit mit Kinderreporterinnen und Kinderreportern so viel Spaß machen. Die leuchtenden Augen, wenn sie tatsächlich Bibi-Darstellerin Lina Larissa Strahl interviewen dürfen, die Aufregung, eingeklemmt zwischen lauter Fernsehteams von NDR und RTL und allerlei Prominenz zu stehen, das Radiofüchse Mikrofon fest umklammert. "Radio bitte hier rüber", faucht uns eine etwas zu blondierte Dame an, aber auch ihr reichlich prätentiöse Gebaren betrachten die Mädchen als Ehre. Denn sie sind ganz klar "Die vom Radio".

Solchen Interviewterminen geht in der Regel einiges an Arbeit voraus: Es muss Kontakt zur Firma aufgenommen werden, die den Film promotet, es müssen Interviewfragen entwickelt und geübt werden.

"Also, ich finde auf jeden Fall das Kinderradio spannender und, ja, interessanter. Lustiger auch!“

Nach dem Termin steht der Schnitt der Aufnahmen und das Formulieren von Moderationstexten für die Radiosendung oder den Internetbeitrag an. In all diese Prozesse binden wir unsere Kinder so weit wie möglich ein. Wenn sie sich trauen, sollen sie selber mit Herrn Lorenz vom Pressebüro in Berlin telefonieren oder ihm eine E-Mail schicken.

Im Schnitt, (c) Andrea SieversDie Interviewfragen denken sie sich ohnehin selber aus und auch der Schnitt der Aufnahmen ist mit dem kostenlosen Programm "Audacity" nicht schwierig, wenn auch oft so langwierig, dass wir Profis die Feinarbeit am Ende meist übernehmen. Auch das Hochladen von Beiträgen in unserem Content Management System Drupal übernehmen die Kinder aus unserer Internetredaktion selber, so dass sie möglichst den ganzen Produktionsprozess nicht nur mitbekommen, sondern weitgehend selber übernehmen.

Dazu braucht es vor allem: Viel Zeit und Geduld! Immer wieder fragen uns Leute: Seid ihr jede Woche auf Sendung? Dann muss ich erklären: Nein. Allein die Produktion eines einzigen Beitrags für die Internetseite kann ca. drei bis vier Termine á 1,5 Stunden dauern. Die Produktion einer einstündigen Radiosendung dauert i.d. Regel acht bis zehn Termine. Und obwohl die Kinder sich einmal in der Woche treffen, haut auch diese Zeitplanung nicht immer hin. Da gibt es an der Schule pädagogische Jahreskonferenzen, Lernentwicklungsgespräche, Klassenreisen, Langzeitprojekte und natürlich Ferien und Feiertage. Im Winter kommen außerdem zahlreiche Weihnachtsveranstaltungen und spätestens im Januar dann die Grippe hinzu, die die Redaktionen regelmäßig ausdünnt. Wer mit Kindern arbeitet, braucht ein starkes Immunsystem!

Radio, Internet, Film und Hörspiel

Bei den Radiofüchsen gibt es zur Zeit fünf Redaktionsgruppen, davon drei feste Schulkurse an Ganztagsschulen, die natürlich stark an die Schulstrukturen gebunden sind. Etwas flexibler sind unsere beiden offenen Gruppen, wo die Kinder in ihrer Freizeit bei den Radiofüchsen mitmachen. Aber wer in Hamburg in der offenen Kinder- und Jugendarbeit tätig ist, weiß, wie mühsam es sein kann, Kinder, die erst um 15:45 Uhr Schulschluss haben, für anspruchsvolle Projekte zu motivieren. Trotzdem sind uns diese offenen Gruppen und auch die Ferienprojekte oft am liebsten. Denn die Kinder kommen aus freien Stücken zu uns. Weil sie es toll finden, ihr eigenes Thema zu veröffentlichen. Weil es sie stolz macht, Erwachsenen mit dem Mikrofon Fragen zu stellen, weil sie etwas zu sagen haben und nicht zuletzt auch, weil sie neue Freunde finden und tolle Sachen erleben.

Die Radiofüchse begutachten das Internet-ABC, (c) Andrea SieversWir möchten, dass Kinder ihre Themen in die Öffentlichkeit bringen können, dass sie gehört werden und lernen, wie man selber Medien gestalten und für sich nutzen kann. Das Radiomachen steht dabei im Vordergrund, aber es gibt auch Kurse, bei denen die Kinder zu "Internetexperten" werden, wo sie Internetseiten testen und anderen Kindern empfehlen, kleine Filme drehen oder auf www.radiofuechse.de andere Kinder nach ihrer Meinung zu einem Thema fragen. In Schulprojektwochen vertonen wir mit einer ganzen Klasse auch mal kurze Geschichten oder produzieren ein kleines Hörspiel.

Die Themen geben die Kinder selber vor, manchmal setzen wir ein Rahmenthema, wie z.B. "Umweltschutz" oder "Unser Stadtteil", innerhalb dessen die Kinder eigene Ideen sammeln und recherchieren.

"Das ist ja auch grade irgendwie das Spannende daran, dass einem am Ende dann viele Leute zuhören, also dass man es auch präsentieren kann, was man in diesem Monat erarbeitet hat sozusagen

Und wer bezahlt's?

Ein Team aus mehreren Freiberuflern stemmt das Projekt, das an die Einrichtung Kinderglück e.V. angedockt ist. Kinderglück e.V. organisiert die Ganztags- und Ferienbetreuung der nahe gelegenen Grundschule Thadenstraße, ab 16 bis 19 Uhr ist das Kinderglück ein offener Treff. Im Gegensatz zu den Erzieherinnen aus dem Kinderglück hat niemand bei den Radiofüchsen eine feste Anstellung oder ein regelmäßiges Honorar, da es auch nach 10 Jahren immer noch keine feste Förderung der Stadt Hamburg gibt. Das macht langfristige Planung extrem schwierig und ist auch im Umgang mit den Kindern nicht einfach. Denn manchmal wissen wir vor den Sommerferien noch nicht, ob es danach weitergeht. Deshalb muss ich als Projektleiterin nicht nur alle Gruppen und Kurse koordinieren, sondern auch dafür sorgen, dass sie überhaupt stattfinden können, sprich: Spendengelder auftreiben, Förderanträge schreiben, sich für Preise bewerben. Immerhin vier Auszeichnungen haben die Radiofüchse schon gewonnen und mit dem Preisgeld schon manche finanzielle Durststrecke überwunden.

Aber bei aller Freude über die Anerkennung durch die vielen Auszeichnungen (Dieter-Baacke-Preis 2008, Budnianer Hilfepreis 2012, KinderMedienPreis 2013, Hamburger Bildungspreis 2015) denke ich manchmal, dass in der Hamburger Kindermedienlandschaft der Eindruck entstanden ist, die Radiofüchse hätten keine Finanzierung mehr nötig, da sie ja so erfolgreich sind.

„Also unser Gehirn wird auch mehr angestrengt, weil wir müssen uns natürlich auch Mühe geben... Man wird auch offener und nicht so schüchtern und also die Sprache fördert man auch..."

Doch unser Projekt kostet insgesamt ca. 30.000 € im Jahr. Der Hamburger Bildungspreis von 10.000 € ist also rein rechnerisch schon nach vier Monaten aufgebraucht, wenn kein anderer Förderer einspringt. Aus diesem Grund sind zum Beispiel 2015 unser eigener Radiofüchse-Kinderchat und eine offene Kinder-Onlineredaktion auf der Strecke geblieben. Die Betreuung war einfach zu teuer. In Zukunft werden wir uns wahrscheinlich von weiteren Angeboten verabschieden müssen.

Ein Kindermedienprojekt für alle

Wer mit Kindern an einer Website arbeiten will, sollte auf jeden Fall reichlich Zeit einplanen und sich gut überlegen, welche Rolle den Kindern zukommen soll. Sollen Talente gefördert werden oder dürfen alle Kinder mitmachen? Müssen Kinder sich auf das Projekt bewerben oder suche ich die Kinder in einer Einrichtung in einem sozialen Brennpunkt? Möchte ich vor allem die teilnehmenden Kinder fördern oder möchte ich in erster Linie die Kinder ansprechen, die mein Online-Angebot nutzen sollen?

"Ich finde Interviews toll, weil man da ganz viele Sachen erfährt, also aus der Sicht von der Person, die da arbeitet, was das man sonst gar nicht erfahren würde.“

Im TIDE-Studio, (c) Andrea SieversEltern sind immer wieder erstaunt, wie viel Freiheit wir unseren Radiofüchsen lassen und was wir ihnen alles zutrauen. Denn unser Auftrag ist klar: Wir möchten ein Medienangebot für alle Kinder schaffen - unabhängig von Bildung und Herkunft. Das bedeuet: Alle Kinder dürfen mitmachen, wenn sie mindestens acht Jahre alt sind. Das kann auch zu einer Situation wie der Folgenden führen: Ende Februar war ich mit acht Kindern mal wieder im Radiostudio des TIDE Bürgerradios. Von diesen Kindern sprach ein Junge überhaupt kein deutsch, ein weiterer Junge sprach nur mit starkem Akzent und ein dritter sprach zwar flüssig, jedoch viel zu schnell und mit starkem Lispeln - seine Logopädin hatte ihn zu uns geschickt. Ein weiteres Mädchen konnte außer ihrem Namen weder schreiben noch lesen, obwohl sie bereits die vierte Klasse besucht. Die letzten drei Mädchen wiederum hatten vor der Sendung einen so großen Streit miteinander, dass sie die Sendung durchgehend mit Grabesstimme moderierten und dazwischen schmollten.

Das sagt viel über die Kompetenzen aus, die unsere FreiberuflerInnen mitbringen müssen. Die sonst als Journalistinnen und Journalisten bzw. Musikerin tätigen Honorarkräfte sind bei den Radiofüchsen wohl zu 80% sozialpädagogisch tätig, der Rest ist dann "echte" Medienpädagogik. Oder anders formuliert: Wenn alle Einverständniszettel abgegeben, alle Aufgaben verteilt, alle Tränen getrocknet, alle Streits geklärt, alle Neuigkeiten aus der Schule ausgetauscht und alle Kaugummis gerecht verteilt sind, dann beginnt die eigentliche medienpädagogische Arbeit. Und genau das ist für mich das Schöne an der Arbeit mit den Radiofüchsen!

„Also am Anfang haben wir das alles nicht so richtig ernst genommen, also wir haben das nur als Hobby gesehen. Aber jetzt, also ich finde, das ist fast wie so ´ne Kinderberufung so..."

Alle Zitate der Kinder stammen aus Interviews, die die Studentin Josephine Kramer 2014 mit Radiofüchsen geführt hat.

Zum Klicken, Hören, Schauen und Schreiben: